Ein Architekt bekam mehr Geld als ich, der Bodenleger. Er meinte, das müsse so sein, da er ja länger ausgebildet sei und mehr Verantwortung trage.
Ich meinte:
„Ich nutze mich bei meiner Arbeit aber mehr ab, als Du: Ich fresse den Staub, wenn wir altes rausreißen, oder Neues schleifen. Ich kniee und bücke mich jeden Tag zig mal, das verschleißt meine Gelenke. Ich schneide mich häufig. Meine Ohren leiden unter dem Lärm beim arbeiten. Meine Nieren sind dem feuchten Zug im Neubau ausgesetzt. Ich habe ein viel höheres Risiko eine Fähigkeit meines Körpers durch einen Unfall bei meiner Arbeit zu verlieren, als Du.“
„Also: Wenn Du willst, dass wir die Lohndiskussion auf machen – ok, dann laß und da drüber reden:
Als wir beide aus unserer Mutter krochen, da hatten wir noch beide gleiche Chancen auf ein langes, gutes Leben, viel ist seitdem passiert. Und ich denke, wir haben beide ein Recht auf langes, gesundes und friedliches Leben. Ich merke aber, dass meine Arbeit ein Faktor ist, der das begrenzt, also meine Lebensszeit, meine Lebensqualität. Und wie du, bekomme ich für meine Arbeit Geld.
Ich verstehe nicht, warum ich weniger Geld bekomme, obwohl ich mich mehr verschleiße, und wesentlich höhere Chancen habe früher von Erden zu gehen, als Du. Der Lohn könnte ein Ausgleich für verlorene Lebenszeit sein – Der Lohn SOLLTE ein Ausgleich sein! Warum lebst du besser, länger und bekommst dafür mehr Geld als ich? Weil du länger ausgebildest wurdest? Weil du mehr Verantwortung trägst?
Lass und doch da noch einmal in Ruhe und ausführlich drüber reden. Ich sehe diese Zeilen als einen Beginn, lieber Architekt vom Wöchnerinnenbett neben mir. “ (Frei nach einem guten Freund)
Und Ihr Banker, Manager, Journalisten und andere, beteiligt Euch doch an der Diskussion mal persönlich….
andreas_fecke
27 August , 2010
Lieber Bodenleger,
Nicht ein Architekt gibt Dir die erste Antwort, sondern ein Malocher wie Du, aus einer anderen Branche, einer der sich (zugegebenermaßen nicht nur aus beruflichen Gründen) verschliessen hat und mit 52 seit mehreren Jahren dem ersten Arbeitsmarkt abhold gegangen ist. Aber einer, der Geld bekam, und mit diesen kleinen Ausführungen Deinem Brief, den er sehr gut findet, keinesfalls widersprechen will – ich möchte ihn im Gegenteil erweitern.
Von Beruf her, den ich zusammen- und umgerechnet mehr als 15 Jahre „Vollzeit“, davon 14 Jahre mit Hingabe, ausgeübt habe, war ich Kellner (auch auf höheren Stufen in der Hierarchie). Begonnen zu Zeiten, als Gäste noch „Herr Ober!“ riefen (und auch in gutbürgerlichen Restaurants manch ein Gast versuchte, den weiblichen Bedienungen auf den Popo zu klopfen), hauptsächlich zu Zeiten, als es wohl mal studentische Aushilfen gab, das Gewerbe aber noch nicht durch Systemgastronomie und Minijobpersonal geprägt wurde.
Ich kenne die Zeiten, wo fast alle „Lokale“ ihren ureigenen Charakter hatten und sogar der Kellner das Ambiente mit seiner Persönlichkeit mitprägte – und sich in beliebten Betrieben genau so viele Trinkgelder, wenn nicht mehr, verdienen (das meine ich wörtlich so) konnte wie er netto in der Lohntüte hatte. Wir hatten zwei Arbeitgeber, jeder gute Kellner wusste: Dein Geld verdienst Du Dir am Tisch.
Damit bin ich am Punkt: es gab Phasen, da verdiente ich sicherlich sogar mehr Geld als ein junger angestellter Architekt. Warum gab es bei mir, im Unterschied zu diesem Architekten, permanent und zusätzlich zur körperlichen und nervlichen Belastung ein Gefühl der Frustration? Der Mangel an sozialer Anerkennung natürlich der eigenen Person und darüberhinaus des gesamten Berufsstandes. Ehrlich soziale Anerkennung nicht monetärer Art, etwa wie sie in der Malocherklasse zwei jahrzehntelang die Bergarbeiter genossen.
Obwohl wir sogar mehr scheinbare Anerkennung bekamen als viele andere: an guten Tagen spendierte der Chef das Bier, immer bedankten sich zufriedene, nicht arrogante („Kunde ist König, wer zahlt, steht oben“) Gäste sogar oft mit ehrlicher Ehrerbietung (kleinerem Maßstabes). Wo ist das Problem? Die Anerkennung, monetäre und nicht monetäre, lief ausschließlich innerhalb der vier Restaurantwände ab, draußen vor der Tür war man trotzdem nur ein Kellner. Einer, der es zu nichts Besserem gebracht hat. Nicht in den Augen von Supermarktverkäuferinnen, sondern in den Augen der Architekten und der Architekturstudenten, der Leute aus dem selbstständigen Mittelstand (inklusive aller meiner ehemaligen Chefs) , der „Leistungsträger“, des Bildungsbürgertums.
Ich persönlich hatte das Glück einer guten Schulbildung und war in meiner Kindheit familiär so geprägt worden , dass ich für vieles lebhaft interessierte und mich zeitlebens autodidaktisch „weiterbildete“ – und die ganzen Jahre über, sogar noch im zarten Alter von 40, fragten mich Gäste: „Was studieren Sie denn?“
Darauf kann ich heute antworten: „Ich studier(t)e Euch und Eure Gesellschaft.“ Weil Eure Gedankengebäude absurd sind und destruktiv.
So geht mein Appell an Dich, lieber Bodenleger, dahin, mal zu überdenken, ob mit gleichen Löhnen das Problem gelöst oder nur ausbezahlt würde, und mein Plädoyer an Dich, lieber Architekt, geht dahin, Dir grundsätzlich mal zu überlegen, was was und wer was wirklich wert sind.
auerochse
27 August , 2010
Hallo Andreas,
ich kann das nachempfinden.
Ich stimme Dir zu.
Ich habe keinen Dissenz.
Danke für den Kommentar!
Thomas
27 August , 2010
Hier die Antwort von einem „studierten“ Programmierer.
Viel besser, als ich das könnte, hat dazu in einem Buch der Permakultur-Designer Graham Bell geschrieben:
„Wir müssen unseren individuellen und kollektiven Wert erst wieder schätzen lernen. Zuweilen scheint uns die Gesellschaft genau das Gegenteil zu sagen… Bestimmte Qualifikationen scheinen irgendwie mehr oder weniger wichtig zu sein als andere. … weltweit gesehen verdienen Menschen, die in der Landwirtschaft, der Kleiderbranche und in der Abfallwirtschaft, die als Reinigungskräfte oder in Pflegeberufen arbeiten, wenig im Vergleich zu den Beschäftigten in der Industrie oder anderen „Fachkräften“. All diese Menschen auf der Seite der wenig verdienenden jedoch setzen ihre Fähigkeiten auf Gebieten ein, die viel mit den Grundbedürfnissen unseres Lebens zu tun haben…Der Gehaltszettel sagt nichts über die tatsächliche Bedeutung einer Arbeit aus. Dazu kommt der Mythos der Fachkraft…Oft arbeiten sie auf eine ganz bestimmte Art und Weise, um sicherzustellen, dass Laien nicht viel davon mitbekommen…Allzu oft…geht es solchen Fachkräften darum, ihr Territorium zu verteidigen und ihre Qualifikationen nicht an andere weiterzugeben.
Wenn wir also versuchen wollen, uns selber als die vielseitigen Menschen anzusehen, die wir tatsächlich sind, und uns auch so zu verhalten, müssen wir unsere Fähigkeiten miteinander teilen.“
Dazu ist vielleicht noch hinzuzufügen: Verantwortung wird offensichtlich in unserer Gesellschaft nicht bezahlt, sonst müsste jeder Lokführer mehr verdienen als Bankenchefs und Aktienanalysten.
Das Argument mit der längeren Ausbildung kann ich in unserer Wirtschaft bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen: Studierte haben weniger Zeit, sich eine Rente zu verdienen. Das ließe sich aber auch so machen, daß man für sein Studium eine „Rentengutschrift“ bekommt. Eine solche Gutschrift vorausgesetzt, wäre es mir viel lieber, wenn wir uns gegenseitig in „Stunden“ bezahlten statt in Euro, so daß eine Stunde Architektenarbeit so viel oder so wenig Wert wäre wie eine Stunde Bodenlegerarbeit. Nebenbei würde ich mich in einem solchen System erheblich wohler in Bezug auf meine Rente ( ich bin 47 Jahre alt) fühlen, weil ich unseren Rentensystemen, ob staatlich oder kapitalgedeckt, nicht über den Weg traue. So könnte ich die Hoffnung haben, daß eine Stunde in 20 Jahren immer noch eine Stunde ist, was bei einem Euro sicher nicht der Fall sein wird.
Anna
1 Oktober , 2010
Hallo Andreas,
Deiner Argumentation stimme ich in vollem Umfang zu, stelle ich doch bei meiner Arbeit fast täglich fest, das viele Menschen um mich, ob besser oder schlechter bezahlt, ob freiwillig oder unabsichtlich, diese Meinung teilen. An der Hotline, an der ich für Beschwerden aufgebrachter Kunden gern ein offenes Ohr und eine Lösung habe, höre ich nicht nur einmal: „Sie haben es bestimmt nicht leicht, und dann auch noch so schlecht bezahlt..“ obwohl ja keiner meiner „Patienten“ einen Blick auf meinen Lohnzettel wirft, geht man also davon aus, dass ich nicht viel übrig habe am Monatsende. Dennoch ist das eine Art Anerkennung.
Genauso wie manche Chefs, die lieber nicht mit Kunden sprechen wollen, die völlig außer sich sind und einen Vorgesetzten verlangen – besser bezahlt und länger ausgebildet als wir, fühlen sie sich dennoch den Anforderungen unserer täglichen Routine nicht gewachsen. Dennoch ist das eine Art von Anerkennung, ein – das kannst du besser als ich – wenn auch erst auf den zweiten Blick. Wenigstens kann ich sagen, dass ich zumindest anteilig nach Leistung bezahlt werde, und zwar nach zufriedenen Kunden, nicht nach verkauften Produkten.